♡ Erziehung ohne Strafe 2


Zusammenfassung: In diesem Text erfährst du, was im Gehirn passiert, wenn Kinder "ausrasten", hauen und generell nicht "hören"...

Aber manchmal hört mein Kind einfach nicht auf mich...

Es gibt immer wieder Momente, da klappt das mit der „Erziehung“ irgendwie nicht. Ich schaffe es nicht, eine Verbindung aufzubauen, weil mein Kind ganz abwesend ist. Es ist wie in einer anderen Welt, wie „ausgewechselt“, irgendwie nicht erreichbar. Bei kleineren Kindern sind es z.B. Wutanfälle, die mir deutlich machen, dass hier gerade nichts zu erreichen ist, größere Kinder ziehen sich zurück oder wirken überdreht, ignorieren uns, vermeiden Blickkontakt. Aber was mache ich, wenn mein Sonnenschein gerade von Dr. Jeckyll zu Mr. Hyde mutiert und im Supermarkt zielsicher auf eine Palette Gurkengläser zustürmt oder dem Nachbarskind zum x-ten Mal seine Schaufel auf den Kopf haut?

Was passiert im Gehirn?

Zunächst rufe ich mir in Erinnerung, was im Gehirn der Kleinen eigentlich vor sich geht. Denn wir stellen uns unser Gehirn gern als einen Computer vor, der bestimmte Dinge einfach „kann“ oder eben „nicht kann“. Etwa so: Mein Kind kann einsehen, dass es andere Kinder nicht hauen soll. Es hat diese Einsicht abgespeichert und kann sie auch motorisch umsetzen. Wenn es dann am nächsten Tag auf dem Spielplatz mit der Schippe auf Torbens Kopf zielt, muss es also böse Absicht sein, oder? Aber das stimmt so nicht. Unser Gehirn besteht aus verschiedenen Teilen, darunter höher entwickelte, die für Logik, gute Entscheidungen, Moral und kreative Lösungskompetenz zuständig sind – ich nenne sie hier das „obere Gehirn“. Dieser Teil „weiß“, dass Mama nicht will, dass ich andere Kinder haue. Aber es gibt auch ältere Hirnregionen, ich nenne sie hier das „untere Gehirn“. Sie sind unser „Lebensretter“, können in Gefahrensituationen blitzschnell reagieren, sind aber einfach strukturiert, sozusagen etwas „dumm“. Damit das untere Gehirn so schnell reagieren kann, ohne sich mit den Instanzen des oberen Gehirns – Moral, Logik, usw. – zu streiten, schaltet es die Funktionen des oberen Gehirns kurzfristig einfach ab und übernimmt die Kontrolle. Wir können in diesem Zustand also nicht mehr logisch und kreativ denken oder überlegte Entscheidungen treffen. Das macht auch Sinn. Wenn uns eine Schlange über den Weg läuft, brauchen wir keine Moral oder Flexibilität, wir müssen erst einmal unser Leben retten und zurückspringen. Problematisch wird dieses Muster, wenn das untere Gehirn aktiv wird, obwohl gar keine Gefahr in Verzug ist. Und das passiert erstaunlich häufig. Schon ganz kleine Dinge wie Hunger oder Müdigkeit können dafür sorgen, dass unser Gehirn in den Katastrophenmodus schaltet. Und das gilt durchaus nicht nur für Kinder. Bist du schon mal ausgerastet, weil du dich so geärgert hast? Hast dich so erschrocken, dass du im Reflex etwas getan hast, das du normalerweise nicht tun würdest? Hast dich angegriffen gefühlt und (verbal) zurückgeschlagen? Schlechte Laune verbreitet und danach erst bemerkt, dass dir der Magen knurrt? Bist ein fieser Morgenmuffel? In all diesen Situationen übernimmt das untere Gehirn die Kontrolle. Wir verhalten uns weniger wundervoll, als wir es eigentlich (mit dem oberen Gehirn) könnten. Und können tatsächlich relativ wenig dagegen tun.

Warum es bei Erwachsenen "besser" funktioniert

Trotzdem ist es glücklicherweise eher unwahrscheinlich, dass mir mein liebster Mann als fürchterlicher Morgenmuffel vor dem ersten Kaffee eine runterhaut. Denn sein oberes Gehirn schafft es durch langjährige Übung, den Impuls zu unterdrücken, jedem, der ihm morgens begegnet, eine Keule über den Kopf zu hauen. Sein oberes Gehirn sendet beruhigende Signale an sein unteres Gehirn und erhält so langsam die Kontrolle zurück. Das funktioniert am besten in gut trainierten Situationen. Denn Neuronen, die immer wieder zusammen aktiviert werden, verknüpfen sich. Durch die Wiederholung der immer gleichen Situation „Ich bin müde – grrr, Keule – Nee, alles gut, erstmal nen Kaffee trinken“, entstehen im Kopf kleine „Trampelpfade“, gut ausgetretene Wege, feste Verknüpfungen. Das Verhaltensmuster wird auf diese Weise automatisiert.

Eben diese Trampelpfade erklären den Unterschied zwischen unserem erwachsenen Verhalten und dem Verhalten der Kinder. Zugleich liefern sie den Schlüssel, diese Verhaltensmuster auf Dauer zu verbessern. Denn was im Gehirn unseres Morgenmuffels ein breiter Weg ist, ist im kindlichen Gehirn noch nicht viel mehr als ein paar geknickte Grashalme in einer unberührten Landschaft. Erst durch Wiederholung und Übung, durch „Training“ sozusagen, entstehen diese hilfreichen Verhaltensmuster, die oberes und unteres Gehirn versöhnen. Und Kinder hatten naturgemäß noch wenig Zeit zum trainieren. Zusätzlich befindet sich das obere Gehirn selbst noch im Aufbau (bis Mitte Zwanzig circa!). So hat es zu allem Übel für viele Situationen einfach noch gar keine „guten“, moralischen Ideen und Programme gespeichert und abrufbereit.

Wenn mein Kind also „ausrastet“ und sein unteres Gehirn die Kontrolle übernimmt, kann sein oberes Gehirn dringend Hilfe gebrauchen, die Kontrolle wieder zu erlangen. Aber was genau kann ich tun? Das lest ihr im nächsten Teil: Erziehung ohne Strafe - Teil 3


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Zum Weiterlesen:
Gehirnfutter für Eltern: Erziehung ohne Strafe - Teil 1
Gehirnfutter für Eltern: Erziehung ohne Strafe - Teil 3
Gehirnfutter für Eltern: Ist mein Kind zu aggressiv?
Gehirnfutter für Eltern: Das Gehirn versteht kein Nein
Gehirnfutter für Eltern: Bin ich zu inkonsequent?



Daniel J. Siegel: "Disziplin ohne Drama"
Daniel J. Siegel: "Achtsame Kommunikation mit Kindern"


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Photo by Cristina Gottardi on Unsplash